Interview des Monats – Dr. Annette Henn

14.04.2021, Interview Zentraler Beitrag

Mit ihrem Konzept Gründercampus HoMe“ überzeugte die Hochschule Merseburg im Wettbewerb EXIST-Potentiale und zählte zu den Gewinnern der Ausschreibung, mit der das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Gründergeist und innovative Ausgründungen an Hochschulen unterstützt. Über die nächsten vier Jahre sollen mit einem Fördervolumen von ca. 1,8 Mio € bereits geschaffene Strukturen rund um den HoMe Gründerservice zu einer lebendigen Gründungskultur an der Hochschule Merseburg weiterentwickelt und verstetigt werden.

Dr. Annette Henn ist nicht nur Projektleiterin, sondern hat auch seit 1. Februar 2021 die Vertretungsprofessur „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Entrepreneurship“ inne.Was in den nächsten Jahren geplant und wie die VProf ausgerichtet ist, haben wir mit ihr besprochen.

Frau Dr. Henn, welche Ziele sind mit der Vertretungsprofessur verbunden und was ist im Projektzeitraum geplant?

Zunächst liegt bei der Professur „ABWL, insbesondere Entrepreneurship“ mit der Projektleitung natürlich die Verantwortung für die Erreichung konkreter Ziele und Meilensteine zur Umsetzung der Vision eines Gründercampus am und im Umfeld der Hochschule Merseburg. Dabei versteht sich die Hochschule als Ideenschmiede, in der Gründungen einen Weg darstellen, Innovation – also neuartige Ideen, Technologien und Wissen – aus der Hochschule in die Gesellschaft zu tragen. Der bereits an unserer Hochschule etablierte HoMe Gründerservice in seinem Selbstverständnis als Serviceeinheit ist dabei nach wie vor erster Anlaufpunkt für all diejenigen, die eine Idee durch eine Ausgründung in die Praxis überführen wollen. Gründercampus HoMe knüpft daran an und geht noch einige Schritte weiter: Ziel ist die Schaffung einer Kultur unternehmerischen Denkens und Handelns in allen Ebenen und Strukturen der Hochschule.

Konnten wir als Hochschule bisher aufgrund zeitlich befristeter Projektförderungen nur in der Perspektive einzelner Projektbausteine und Strukturfondsförderperioden agieren, so setzen wir mit dem Gründercampus HoMe auf Verstetigung und Erweiterung des bisher Geschaffenen. Das Vorhaben soll unserer Hochschule ein wahrgenommenes Profil geben, von dem eine Vielzahl beteiligter Akteure profitiert:

  • Die Institution HoMe selbst, deren Stellenwert und Reputation als besonders wertvolle Fachhochschule im Standortwettbewerb der Hochschulen wahrnehmbar steigt.
  • Die Studierenden, die praxisbezogener nicht studieren können und im Anschluss an ihr Studium einen Arbeitsplatz in den bereits etablierten und den sich neu entwickelnden Unternehmen  in der Region finden.
  • Die bereits heute in der Region ansässigen Startups und etablierten Unternehmen, die aufgrund der engen Vernetzung mit unserer Hochschule stetig auf Fachkräfte sowie Transferwissen zugreifen, sich durch die wachsende Breite an Unternehmen optimal vernetzen können und über erwartete Neugründungen zahlreiche Diversifizierungspotentiale in regionalen Branchenclustern finden.
  • Die Region selbst, welche durch die erwarteten Neugründungen und das Wachstum der etablierten Unternehmen in ihrer Wirtschaftskraft stetig mitwachsen kann.

Die Professur versteht sich sowohl intern wie auch extern als Schnittstelle zwischen den Fachbereichen und den dort vertretenen Fachgebieten in Lehre und Forschung, aber auch zu den Partnern der Region.

Kurz gefasst: Ziel des Gründercampus HoMe = unternehmerisches Denken an der Hochschule ausbauen, neue Lösungsansätze zu erforschen, akademische Unternehmensgründungen zu fördern. Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen der Hochschule, alle Ehemaligen und Partnereinrichtungen sollen ihre innovativen (Geschäfts-)Ideen in einem praxisnahen Umfeld entwickeln und erproben.

 

Welche und wie viele Gründerteams werden aktuell unterstützt?

Wir als Team sind angesichts der anhaltenden Pandemiesituation teilweise selbst überrascht, dass es trotz schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse in einzelnen Branchen eine ungebrochen hohe Nachfrage nach Information und Beratung zu Gründungen gibt. So haben wir seit Februar 2021 ca. 45 Beratungsgespräche geführt, 12 Teams werden aktuell in der Vorbereitung ihrer Vorhaben begleitet. Tendenziell ist die Zahl der Beratungsanfragen in der Zeit seit März 2020 sogar gestiegen. Was nicht verwundert ist, dass die in jüngster Zeit vollzogenen Gründungen zahlenmäßig zurückgegangen sind. Das betrifft vor allem Einzelgründungen. Im Bereich der Team-Gründungen mit dem Potential für ein Startup hingegen bleiben die Gründungszahlen relativ konstant, wenngleich auf recht niedrigem Niveau. Hier haben wir jedoch in Merseburg keine besondere Situation, sondern bewegen uns im Trend der (vor allem neuen Bundesländer) Bundesländer. Umso mehr freuen wir uns, dass zwei Teams die Gründung vollzogen haben:

Zum einen die beiden Gründer der Twelve Solutions UG, Karl Böttcher und Vincent Gloß, Alumni der Hochschule, welche im Mai 2020 nach der Förderung mit dem Instrument ego.-Gründungstransfer erfolgreich den Schritt in die Unternehmerschaft gewagt haben (https://12-s.de/service).

Zum anderen möchte ich die Gründung der ZAtec UG (https://www.zatec.io/) erwähnen. Paul Lindner, ebenfalls Alumni der Hochschule, heute Co-Founder und CFO, hat ebenfalls bewiesen, dass Gründung trotz schwieriger Rahmenbedingungen eine gute Alternative zu den sonst unseren Absolventen offen stehenden beruflichen Perspektiven sein kann.

 

Deutschland ist im internationalen Vergleich nicht gerade als Land der Unternehmensgründungen bekannt. Was hindert viele daran, ein Unternehmen zu gründen?

Schaut man in einschlägige Publikationen, dann sind es vor allem Ängste vor Unsicherheit und unvorhersehbaren Risiken, zu hoher Verantwortung, zu hoher Arbeitsbelastung und dem Absturz in die Insolvenz, die  hierzulande die größten Hemmnisse für Unternehmensgründungen darstellen. Das stellen wir auch in den Gesprächen an der Hochschule fest. Hinzu kommt, dass man sich an einer solchen Institution in einem sehr geschützten Rahmen mit guter sozialer Absicherung bewegt. Die Motivation, diesen zu verlassen, ist da nicht zu ausgeprägt. Unter den Studierenden, den Alumni sowie dem wissenschaftlichen Nachwuchs sind es neben Selbstzweifeln, dem Wunsch, Berufserfahrung zu sammeln, häufig auch familiäre Aspekte, die Gründung einer Familie,  Phasen der beruflichen (Neu-) Orientierung, die letztlich dazu führen, dass eine Idee nicht bis zur Gründung weiter verfolgt wird.

 

Viele schrecken davor zurück? Was können Sie bieten, um die Angst zu nehmen?

Ängste und wahrgenommene Warnsignale Gründungsinteressierter ernst zu nehmen, ist eine unserer Aufgaben in der Gründungsbegleitung.  Gemeinsam Umsetzungsszenarien für die Ideen zu entwerfen und damit zu erreichen, dass Gründer*innen ihre Schritte in die Selbstständigkeit gezielt steuern, ist unser Ziel. So haben die durch uns Begleiteten gute Chancen: Sie werden die weiteren Hürden und Hindernisse einer Unternehmensgründung frühzeitig erkennen und sie erfolgreich meistern.

 

Was haben Sie mit dem Projekt „Gründercampus HoMe“ für Stellschrauben, um zu Gründungen anzuregen? Wie können sie Gründungsinteressierte unterstützen?

Wir setzen bereits in einem sehr frühen Stadium des Gründungsprozesses an, in dem wir methodisch daran arbeiten, Ideen zu generieren und daran arbeiten, ihr qualitatives Potential zu heben. Zudem können wir durch individuell auf Gründungsvorhaben, Bedarfe und Persönlichkeit der Gründer*innen zugeschnittene Angebote den persönlichen Gründungsfahrplan Sicherheit geben. Wir unterstützen dabei die typischen Fehler im Gründungsprozess zu vermeiden. Dies wären vor allem Fehler in der Finanzierung, falsche Marktinformationen und Produkte, die nicht in den anvisierten Markt passen bzw. ein nicht tragfähiges Geschäftsmodell. Dazu unrealistische Kapazitätsbetrachtungen oder fehlende kaufmännische und fachliche Kenntnisse. Diese klassischen Starterfehler können vermieden werden. Dazu stehen wir als Team des HoMe Gründerservices, aber auch ein Netzwerk an Praxispartnern, bereit, die ein breites Spektrum aus fachlicher Expertise mitbringen und so als Mentoren fungieren können.

 

Wer kann sich an Sie wenden?

Unsere Türen stehen allen Hochschulangehörigen offen. Auch wer etwas mit einem Praxispartner, einem schon gestandenen Unternehmer etc. plant, ist herzlich willkommen. Gerade Interdisziplinarität und der Austausch von Wissenschaft und Praxis bringen spannende Projektideen hervor.

 

Arbeiten Sie mit Partnern zusammen?

Im Rahmen des Vorhabens gibt es eine sehr enge Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig. Zudem haben wir mit der InfraLeuna GmbH als weiteren Partner einen guten Zugang zu den am Standort ansässigen Unternehmen. Weitere vor allem mittelständisch geprägte Unternehmen der Region sowie eine Anzahl in der Vergangenheit aus der Hochschule Merseburg vollzogener Ausgründungen stehen bereit, ihre Erfahrungen an die nächste Unternehmergeneration weiterzugeben.

 

Und abschließend eine persönliche Frage. Warum ist es Ihrer Meinung nach bedeutsam, die Gründungskultur zu stärken und warum liegt Ihnen das Thema am Herzen?

Innovative Start-ups besitzen eine strategische Bedeutung für jeden Wirtschaftsstandort. Diese Treiber der Wirtschafts- und Innovationskraft gibt es hier, rund um den Hochschulstandort. Es sind aber zahlenmäßig leider viel zu wenig. Damit sind neue Formen der Wertschöpfung eher unterrepräsentiert, sie fehlen als Treiber des gesamtwirtschaftlichen Strukturwandels. Somit fehlt in der Perspektive nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum. Wir als Hochschule besitzen per se ein Potential für forschungs- und wissensbasierte Gründungen aus der Lehre und Wissenschaft. Wir müssen als Hochschule daher eine führendere Rolle in der Beratung und Unterstützung von Teams beim Transfer von Forschungsergebnissen in innovative Gründungsvorhaben übernehmen. Die Grundlage für innovative Ausgründungen aus  Hochschulen ist eine lebendige und inspirierende Gründungskultur. Hier nimmt die Wertschöpfung -von der Generierung der Ideen über die intensiv begleiteten Phasen der Gründung hin zu innovativen Unternehmen- ihren Anfang.

Konkret sehe ich in einem entstehenden Gründercampus herausragende Potentiale für die HoMe, deren Strategieprozess in dessen Schwerpunktsetzung mit zu prägen und bisher noch nicht hinreichend erschlossene innovative Ideen aus Lehre und angewandter Forschung zu heben durch:

  • intensivierte Förderung unternehmerischen Denkens und Handelns auf allen Ebenen der HoMe sowie die Weiterentwicklung einer Kultur des Gründens im Umfeld der HoMe,
  • die Aktivierung und Maximierung des Verwertungspotentials aus der angewandten Forschung der HoMe,
  • die Erhöhung der Ausgründungszahlen sowie die Steigerung der Qualität und Nachhaltigkeit der Gründungen und Startups,
  • den Ausbau gründerfreundlicher Rahmenbedingungen und Positionierung der HoMe in einer Gründerregion Mitteldeutschland.

Nicht nur vor dem Hintergrund des viel zitierten Strukturwandels sehe ich die einmalige Chance, einen Leuchtturm in der Region zu schaffen und unsere Hochschule als Standort für Innovation zu positionieren.

 

 

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