Chris Tischer

„Ich bestimme mein Geschlecht selbst!“

Vielfalt und Toleranz werden an der Hochschule Merseburg großgeschrieben. Doch wie fühlt es sich an, als nicht-binäre Person bei uns zu studieren? Davon berichtet uns Chris Tischer im Interview.

 

Chris, in deiner E-Mail-Signatur steht, dass deine Pronomen „they“ und „them“ sind. Könntest du für unsere Leser*innen kurz erklären, was das bedeutet?

Als nicht-binäre Person fühle ich mich weder dem weiblichen, noch dem männlichen Geschlecht zugehörig. Im Englischen kann man „they“ und „them“ für eine geschlechts-neutrale Formulierung nutzen. Im Deutschen verwende ich keine Pronomen, sondern einfach meinen Namen Chris.
 

Wie ist es für dich, wenn Menschen das nicht respektieren, sondern z. B. ein männliches Pronomen für dich verwenden?

Das fühlt sich natürlich nicht gut an. Es hängt von meiner persönlichen Tagesform ab, wie ich damit umgehen kann.


Menschen, denen es zu anstrengend ist, eine gendersensible Formulierung zu wählen, denken meistens nicht darüber nach, was es tatsächlich bedeutet, nicht-binär, queer oder trans zu sein. Wie viele Kämpfe wir im Alltag über viele Jahre ausfechten müssen. Ich finde, es ist demgegenüber eigentlich nicht zu viel verlangt, die Sprachgewohnheiten ein wenig anzupassen, um andere nicht zu verletzen oder zu diskriminieren.

Du hast kürzlich an einem Empowerment-Workshop von FEMPOWER für Studis mit Coming-Out-Erfahrung teilgenommen. Wie kam es dazu und wie sah deine eigene Coming-Out-Erfahrung an der Hochschule Merseburg aus?

Ich wollte mich mit anderen Studis zu dem Thema austauschen. Ein Coming-Out ist nichts, was nur einmal passiert, sondern immer wieder. Gerade im Hochschulkontext. Deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen. Viele Mitstudierende gehen zum Glück sehr cool damit um. Ich freue mich immer, wenn Leute sich selbst informieren und ich mich nicht immer und immer wieder erklären muss. Toll fand ich, dass bei einigen Vorstellungsrunden zu Semesterbeginn in meinem Studiengang Soziale Arbeit die Pronomen jeweils mitgenannt werden sollten. Dadurch bin ich gar nicht weiter herausgestochen. Es gab aber auch Dozierende, die das Thema ins Lächerliche gezogen haben. Das hat mich verletzt.  
 

Sind geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung Themen, die in den Hochschulalltag gehören? Brauchen wir eine öffentliche Debatte dazu?

Aus meiner Sicht definitiv! Wir leben alle in einem binären Geschlechtssystem und das ist ausschließend. Menschen werden diskriminiert. Und das betrifft übrigens nicht nur diejenigen, die nicht-binär, queer oder trans sind, sondern auch Frauen.
 

Wie ist es aus deiner Sicht um Vielfalt und Toleranz an unserer Hochschule bestellt?

Es gibt gute Ansätze wie die genderneutralen Toiletten. Andererseits ist es z. B. bisher nicht möglich, bei den Hochschul-E-Mail-Adressen individuelle Anpassungen vorzunehmen. D. h. bei mir steht nach wie vor ein „Christian“ in der Adresse. Das bringt mich immer wieder in unangenehme Situationen: Menschen ordnen mich dem männlichen Geschlecht zu und ich muss mich immer wieder aufs Neue outen und erklären.
 

Das kann ich gut verstehen. Ich hake gern für dich nach, ob sich das in Zukunft ändern lässt! Was würdest du dir von unseren Hochschulangehörigen noch für die Zukunft wünschen?

Ich würde mir einfach nur wünschen, dass die Leute sensibel mit dem Thema Identität umgehen. Das bedeutet für mich auch, einen achtsamen Umgang mit Studieninhalten, die unter Genderaspekten einer kritischen Reflektion bedürfen oder unter Umständen retraumatisierend sein können. Zudem ist es schön, wenn Leute erstmal selbst recherchieren, bevor sie mich im Studienalltag ausfragen. Wenn ich mich bewusst dafür entscheide, über meine Identität zu sprechen – wie jetzt im Interview – ist das etwas anderes. Aber: Menschen, die Diskriminierung erfahren, sind nicht dafür verantwortlich andere zu belehren oder zu erziehen.


Interview und Foto: Anne Schwerin

 

 

 

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