Prof. Dr. Jörg Kirbs

Abschied nach 30 Jahren an der Hochschule Merseburg – Prof. Dr. Jörg Kirbs geht in den Ruhestand

Prof. Dr. Jörg Kirbs hat die Entwicklung der Hochschule Merseburg mehr als 30 Jahre entscheidend geprägt und als Rektor zehn Jahre lang durch spannende und herausfordernde Zeiten gelenkt. Bevor er 2012 das Amt des Rektors übernommen hat, war er u.a. Prodekan im damaligen Fachbereich Maschinenbau und Prorektor für Forschung, Wissenstransfer und Existenzgründung. Nach zwei Amtszeiten hat er sich aus Altersgründen 2021 nicht noch einmal zur Wahl gestellt. Im April 2022 hat er den Staffelstab an Prof. Dr. Markus Krabbes weitergegeben.

Am 31. März dieses Jahres geht Jörg Kirbs in den wohlverdienten Ruhestand. Im Interview spricht er mit uns über die Anfänge an der Hochschule, das letzte Jahr als Professor und die kommende Zeit als Professor a.D.

 

Herr Prof. Kirbs, Sie haben 1993 als Professor für Technische Mechanik/Festigkeitslehre und FEM-Anwendung an der Hochschule Merseburg angefangen.

Wie haben Sie die ersten Jahre erlebt?

Die ersten Jahre waren unglaublich spannend. Es war für alle damals Beteiligten etwas Neues – viele von uns kamen aus der Wirtschaft oder von Universitäten. Das Thema Fachhochschule kannten wir nicht und es war komplettes Neuland. Die Zeit insgesamt war geprägt von vielen Veränderungen und Umbrüchen. Goldgräberstimmung ist aus meiner Sicht eine passende Beschreibung für die damalige Anfangszeit und das damalige Denken unsererseits. Wir wollten etwas Schaffen und neu aufbauen, aber gleichzeitig die Einrichtung Hochschule unter den neuen Bedingungen und Voraussetzungen erhalten.

 

Was war damals anders als heute?

Ja, erst mal befanden wir uns in der Gründungsphase. Es gab beispielsweise einen Gründungsrektor, Gründungsdekane und einen Gründungskanzler. Heute sind die Strukturen ganz anders, weniger dehnbar und dafür beharrender. Manchmal würde ich mir wünschen, dass wir unsere Strukturen heute noch mal ein bisschen aufbrechen könnten und etwas von der Aufbruchstimmung von damals durch die Gebäude der Hochschule wehen würde. Der Enthusiasmus, den wir damals hatten, der ist uns allen heute meiner Meinung nach leider ein bisschen abgegangen. Im Laufe der Zeit setzt sich bei vielen Themen ein Gewöhnungseffekt ein und vieles wird selbstverständlich. Ich muss aber auch sagen, dass das neue Rektorat mit viel Leidenschaft dabei ist und viele Themen neu denkt. Darüber freue ich mich.


Was charakterisierte die Hochschule Anno 1992 und was macht sie 2023 besonders?  

Damals wurde seitens des Ministeriums viel mehr reinregiert als heute. Heute sind wir wesentlich eigenständiger. Und eins kann man bei all den Turbulenzen in den letzten 30 Jahren mit Fug und Recht sagen: Heute haben wir unseren festen Platz in der Hochschullandschaft des Landes Sachsen-Anhalt. Wir sind Mitglied in vielen Netzwerken der Wirtschaft und der Gesellschaft sowie in der Region verankert. Unseren Platz in der Hochschullandschaft mussten wir uns aber im wahrsten Sinn des Wortes erkämpfen.


Welche Projekte oder Themen waren Ihnen in Ihrer Zeit an der Hochschule besonders wichtig?

Ein Thema, bei dem ich stets mit Leidenschaft dabei war, war das Projekt Chemie zum Anfassen. Die Arbeit mit Jugendlichen hat mir schon immer Freude bereitet. Dazu kommt, dass es mir ein Anliegen gewesen ist, die Bedeutung der Naturwissenschaften für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt und die mit den Naturwissenschaften verbundenen Möglichkeiten aufzuzeigen. Begeisterung für naturwissenschaftliche Themen zu wecken, war dabei immer mein Antrieb und ist es bis heute.

Zudem bin ich einer der Gründungsväter des Kompetenznetzwerks für Angewandte und Transferorientierte Forschung (KAT). Ich war einer von denen, die es 2006 mit aus der Taufe gehoben und Lobbyarbeit gegenüber dem Ministerium verrichtet haben, damit sich das KAT etabliert. Heute ist es eigentlich das Vorzeige-Transferprojekt in Sachsen-Anhalt und beispielgebend für andere Bundesländer.


Welches sind die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die auf die HAW in den kommenden Jahren zukommen werden?

Die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit betreffen auch die Hochschulen. Die beiden Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit spielen dabei eine wesentliche Rolle. Und ich muss sagen, ich freue mich, dass wir beide Themen auch als unsere Forschungsschwerpunkte an der Hochschule verankert haben. Aber ich denke, eine noch größere Herausforderung wird für uns der zunehmend verschärfte Wettbewerb um die Köpfe sein. Und zwar nicht nur der Wettbewerb zwischen den Hochschulen um die besten Studienanfänger. Es wird generell einen zunehmenden Wettbewerb um die jungen Leute geben. Unsere Ingenieurausbildung z. B. wird mit der dualen Ausbildung in den technischen Disziplinen der Unternehmen konkurrieren.


Das letzte Jahr waren Sie als Professor an der Hochschule tätig. Haben Sie die Hochschule dadurch anders kennengelernt? Ist Ihnen etwas aufgefallen, was Sie davor nicht im Blick hatten oder was Ihnen nicht bewusst gewesen ist?

In der Lehre und Forschung war ich im letzten Jahr nicht mehr tätig. Aufgrund meiner langjährigen Tätigkeit habe ich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mich für zwei Semester freistellen zu lassen. So konnte ich mich vollumfänglich um das Thema MINT-Nachwuchsförderung kümmern. Erstens habe ich versucht, junge Leute vorwiegend von Fachoberschulen für Technik für ein Studium an der Hochschule Merseburg zu begeistern. Zudem habe ich Vorträge gehalten, war an Schulen und auf Messen im Einsatz und habe mich in Nachwuchsprojekten, vorwiegend natürlich hier bei uns bei Chemie zum Anfassen, aber auch ehrenamtlich, engagiert.

Ich bin in dieser Tätigkeit viel mit unserem Bildungssystem in Sachsen-Anhalt konfrontiert worden. Die bestehenden Defizite im Bildungsbereich treiben mich um. Aktuell bereite ich einen Vorschlag für eine Änderung unseres Bildungsgesetzes in Sachsen-Anhalt vor, um außerschulische Lernorte mehr in unserem Bildungssystem zu verankern. Dabei ist noch viel zu tun.

Das Thema Bildung wird mich über meinen Ruhestand hinaus beschäftigen. Wie soll sich denn beim Thema Klimawandel etwas ändern, wenn unsere Kinder nicht die technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen dafür schaffen? Nachhaltigkeit ist vielschichtig und nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial zu denken. Unseren Kindern und Enkeln müssen wir das Handwerkszeug vermitteln, um diese Veränderungen gestaltend voranzutreiben.


Was überwiegt: Freude oder Wehmut über den bevorstehenden Ruhestand?

Das kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich sehe das relativ entspannt. Ich habe den großen Vorteil, dass ich im zurückliegenden Jahr „abtrainieren“ konnte.

Erstmalig konnte ich meinen Terminkalender größtenteils selbst befüllen und eigenständig entscheiden, wann ich was anpacke und mit welchem Thema ich mich auseinandersetze. Da ich ab dem 1. April nicht abrupt aufhöre und gar nichts mehr mache, habe ich weder Freude noch Wehmut. Ich kann mir mein Leben selbst gestalten.


Können Sie jetzt loslassen oder haben Sie immer ein Auge auf die Hochschule Merseburg?

Ich werde immer ein Auge auf unsere Hochschule werfen. Sie ist Teil meines Lebens. Ich war 30 Jahre hier, 25 Jahre davon in leitender Position, 15 Jahre als Prorektor, zehn Jahre als Rektor. Zudem weiß ich sie bei Prof. Dr. Markus Krabbes, dem neuen Rektorat und den Mitarbeitenden in guten Händen.


Was werden Sie in Ihrem Ruhestand als erstes tun?

Ich werde sicher einmal mal drei, vier Wochen nicht an der Hochschule sein, was in den letzten 30 Jahren nicht vorgekommen ist.
Hoffentlich leide ich nicht an Entzug …


Was planen Sie für Ihren Unruhestand? Worauf freuen Sie sich?

Ich freue mich auf vieles. Zum einen freue ich mich, dass ich jetzt mehr Zeit mit meinen Enkelkindern verbringen kann. Im Moment habe ich ein Enkelkind, aber für April sind zwei weitere angesagt.

Vor zwölf Wochen sind meine Frau und ich noch mal umgezogen. Insofern ist noch einiges am neuen „Heim“ zu tun und als Hobbygärtner freue ich mich darauf, den Nutzgarten zu gestalten.

Des Weiteren bin ich leidenschaftlicher Sportler und werde wieder mehr Zeit im Fitnessstudio und auf dem Fahrrad, im Wasser und auf dem Fußballplatz verbringen.

Aber nach wie vor werde ich mich im Ehrenamt um die MINT-Nachwuchsförderung und das Thema Strukturwandel kümmern. Ich habe schon angefangen, mich im SalineTechnikum zu engagieren und werde das weiter fortsetzen. Ich werde mich sicherlich auch noch, wenn man mich braucht, hier an der Hochschule engagieren.

 

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