Wolfgang Falk

„Ich wollte funktionieren!“ - Leben mit und nach einer schweren Corona-Infektion

Interview

Hochschulmitarbeiter Wolfgang Falk berichtet von seinen Erfahrungen

Herr Falk, Sie haben sich im vergangenen Dezember mit Corona angesteckt. Hätten Sie sich damals vorstellen können, so schwer zu erkranken?

Nein. Ich hatte zwar Angst vor Corona. Aber man hält sich selbst für unsterblich und blendet die Gefahr ein Stück weit aus. Es sind immer die anderen, die sterben. Ich habe gedacht, wenn ich mich an die Regeln halte – eine Maske trage und Abstand nehme – kann mir nichts passieren.

Erinnern Sie sich an den Tag, an dem Sie sich angesteckt haben?

Ich erinnere mich sogar genau an den Moment. Ich war in Merseburg einkaufen. An der Kasse stand eine Person, die stark hustet, hinter mir. Ich bat sie, Abstand zu nehmen. Der Mensch fühlte sich dadurch offenbar provoziert, hustete mich absichtlich an und meinte noch „Ich bin übrigens positiv“.

Wie haben Sie reagiert? Haben Sie in dem Moment realisiert, dass Sie sich angesteckt haben?

Ich war erschrocken und wie erstarrt. Aber ich habe damals noch überhaupt nicht realisiert, dass ich mich tatsächlich angesteckt haben könnte. Man blendet das aus.

Also sind Sie nicht sofort zum Arzt oder in Quarantäne gegangen?

Nein. Und das war ein großer Fehler. Ich bin nach Hause gefahren und habe meine Frau umarmt. Und sofort angesteckt. Wir sind zeitgleich drei Tage später krank geworden. 

Wie ging es dann weiter?

In der ersten Woche hatte ich Husten und fünf Tage hintereinander 40 Grad Fieber. Hier habe ich den nächsten Fehler gemacht: Ich dachte, ich könnte das Ganze mit Tee auskurieren. In der zweiten Woche kam die Atemnot dazu. Ich konnte nicht mehr selbst ins Krankenhaus fahren, wollte aber auch nicht den Notarzt rufen. Wir wohnen in einem kleinen Ort. Ich habe mich geschämt und gefragt: Was werden die Nachbarn denken, wenn der Wagen mit Blaulicht kommt?

Warum haben Sie sich so sehr geschämt?

Das Problem ist, wenn eine Person an Corona erkrankt, schwingen immer auch Schuldgefühle mit oder die Angst davor mit, dass andere meinen: Der- oder diejenige war unvorsichtig. Es bleibt der Gedanke „Du hast dich falsch verhalten“. Bei mir kam hinzu, dass ich meine Erkrankung selbst bewältigen wollte. Ich mochte niemandem zur Last fallen und wollte einfach funktionieren.

Das ist verständlich. Aber letztendlich haben Sie sich dadurch selbst sehr in Gefahr gebracht.

Ja, plötzlich ging alles innerhalb weniger Minuten rapide bergab. Ich bekam so gut wie gar keine Luft mehr und meine Frau rief den Notarzt. Hinterher erfuhr ich, dass ich einen massiven Elektrolytmangel hatte, dadurch kam es zu gleichzeitigem Nieren- und Lungenversagen. Wobei die Chance damit zu überleben, erheblich sank ­– statistisch beträgt sie 30 Prozent.

Wir sind alle froh, dass Sie sich da durchgekämpft haben, Herr Falk! Heute ist Ihnen von Ihrer Erkrankung nichts mehr anzusehen.

Ja, aber das täuscht. Wie viele Betroffene leide ich unter Long-Covid-Symptomen. Ich bin häufig tagsüber müde. Mir fällt es manchmal schwer, mich zu konzentrieren. Und ich kann mir zum Beispiel Namen viel weniger gut merken. In mancher Hinsicht geht es mir aber auch schon besser als vor einigen Monaten: Am Anfang konnte ich nur wenige Meter gehen und kam selbst beim Sprechen aus der Puste.

Was können Hochschulangehörige tun, die ebenfalls unter Long-Covid-Symptomen leiden?

Das Problem ist, auch für Ärzte, selbst für Lungen- und Herzspezialisten, ist Long-Covid Neuland. Ich kann Ihnen nur raten: Machen Sie eine Kur – und zwar in einer Klinik, die auf Long-Covid spezialisiert ist. Oder machen Sie wenigstens eine Physiotherapie mit Atemtraining. Lassen Sie sich nicht abwimmeln! Mein persönliches Rezept ist außerdem: Viel bewegen – jeder so wie er kann – viel lesen, viel trinken und ausgewogen essen. 

Betroffene fühlen sich oft unter Druck. Sie sind einerseits offiziell gesundgeschrieben, merken aber andererseits, dass ihre Leistungskraft im Studium oder am Arbeitsplatz nicht mehr dieselbe ist.

Ich kann nur empfehlen, das Thema offen zu handhaben. Für Menschen mit chronischen  Beschwerden gibt es an unserer Hochschule Beratungs- und Unterstützungsangebote. Das reicht von einem Gespräch mit unserer Betriebsärztin über Hilfe durch unsere Gleichstellungsbeauftragten bzw. die Interessenvertreter*innen für Behinderte und Schwerbehinderte bis zu speziellen Eingliederungsmaßnahmen für Mitarbeitende, die mehr als sechs Wochen am Stück gefehlt haben.

Sie haben uns von Fehlern berichtet, die Ihnen im Verlauf Ihrer persönlichen Corona-Erfahrung passiert sind. Was haben Sie daraus gelernt?

Meinen ersten Fehler habe ich eigentlich schon damals im Supermarkt begangen. Ich hätte selbst mehr Abstand nehmen sollen, anstatt die andere Person zu belehren – und zu provozieren. Ich hätte sofort in Quarantäne gehen müssen. Ein Arzt meinte mal zu mir: „Jeder braucht erst seinen eigenen Toten, um es zu begreifen.“ Ich bin froh, dass es meiner Frau heute wieder gut geht. Andere müssen damit leben, dass Angehörige, die sich angesteckt haben, verstorben sind. Wichtig ist auch, Scham und Stolz bei Seite zu lassen und lieber einmal zu früh als zu spät den Notarzt zu rufen. Einen Fehler habe ich aber zum Glück nicht gemacht: Ich habe mich nie selbst aufgegeben.

Kontaktperson
Wolfgang Falk
Fachkraft für Arbeitssicherheit
Raum: Li/016
Telefon: +49 3461 46-2352
"Gesundheit ist unser höchstes Gut. Als Hochschule möchten wir deshalb alles dafür tun, dass Hochschulangehörige mit Long-Covid-Symptomatik oder anderen chronischen Beschwerden sich nicht allein gelassen fühlen. Bitte nutzen Sie unsere Unterstützungsangebote, wenn Sie Ihrem Studium oder Ihrer Arbeit an der Hochschule Merseburg gesundheitsbedingt nicht wie gewohnt nachgehen können. Vielen Betroffenen sind Ihre Beschwerden nicht anzusehen. Einmal mehr möchte ich Sie deshalb als Kommiliton*innen, Kolleg*innen, Lehrtätige und Führungskräfte um gegenseitiges Verständnis und Achtsamkeit bitten.“ Dr. Karen Ranft
Kanzlerin
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