Politische Bildung im Strafvollzug

Politische Bildung im Strafvollzug

Politische Bildung stellt in demokratischen Gesellschaften eine Grundvoraussetzung für ihr Funktionieren und die Teilhabe von Menschen an Prozessen der Willensbildung und Mitbestimmung dar. Trotz aller Vielfalt an Definitionen zum Wesen und Inhalt politischer Bildung steht die Mündigkeit der Menschen im Zentrum entsprechender Maßnahmen. Die Wahrnehmung politischer Rechte kann nur durch die eigene Mündigkeit sichergestellt werden. Um diese Rechte ausüben zu können, sind allerdings Kenntnisse über demokratische Institutionen, den Aufbau und die Funktionsweise des politischen Systems an sich und über mögliche Konsequenzen politischen Wirkens vonnöten.

 

Professor Jens Borchert bereitet mit Studierenden Trainingskurse für arrestierte Jugendliche vor.

Prof. Dr. Jens Borchert, Professor für Sozialarbeitswissenschaft/Kriminologie an der Hochschule Merseburg, forscht seit mehreren Jahren unter anderem zum Thema politische Bildung im Strafvollzug. Zusammen mit Studierenden der Hochschule ist es sein Ziel, jugendliche Straftäter auf das Leben in Freiheit vorzu[1]bereiten und ihnen durch die Vermittlung von Werten und sozialen Fähigkeiten ein Leben ohne Straftaten zu ermöglichen. Politische Bildung ist hierbei nur ein Aspekt von vielen, nach seiner Ansicht aber ein wichtiges Puzzleteil über das bloße Einsperren ohne jegliches Bildungsangebot hinaus. Im Laufe der letzten Jahre ist es Prof. Borchert und seinem Team mit einer Reihe von Studien und Veröffentlichungen gelungen, Akteur*innen im Strafvollzug zu vernetzen und ihnen konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben, um Angebote inhaltlich, methodisch und zielgerichtet weiterzuentwickeln oder neue, an die jeweilige Zielgruppe angepasste Formate zu entwickeln.

 

Neben Veröffentlichungen zu verschiedenen Themen rund um das Thema Strafvollzug und politische Bildung ist Jens Borchert mit seinem Team auch praktisch im Einsatz.

In der Jugendarrestanstalt Halle ist er über das Jahr verteilt mit Gruppen von Studierenden aus den Studiengängen Soziale Arbeit und Kultur- und Medienpädagogik im Einsatz, um den dort arrestierten Jugendlichen Kulturtechniken zu vermitteln – in Halle sitzen beispielsweise junge Menschen ein, die gegen die Schulpflicht verstoßen haben. Eine Kulturtechnik ist beispielsweise das gemeinsame Zubereiten und gemeinsame Essen von Speisen. Das bringt die Jugendlichen zusammen, fördert deren Teamfähigkeit und führt zu Gesprächen und zu sozialem Austausch. Dabei wird ihnen soziales Verhalten vermittelt und sie merken, dass sie wertgeschätzt werden und dass sich um sie gekümmert wird. „Ich weiß, dass unser Ansatz nicht unumstritten ist, aber wir dürfen junge Leute während des zwei Tage bis vier Wochen dauernden Jugendarrestes nicht nur einsperren, sondern müssen ihnen Kulturtechniken vermitteln. Wenn wir nicht bereit sind, ihnen Zuwendung entgegenzubringen und uns um sie zu kümmern, dann haben wir kurze Zeit später wieder Probleme“, erläutert Prof. Borchert seinen Ansatz.

 

Die Maßnahmen im Arrest sind so konzipiert, dass sie die Jugendlichen aktivieren und dabei verschiedene Lernzielbereiche ansprechen. So gibt es kognitiv orientierte Angebote, die auf Wissensvermittlung ausgerichtet sind, affektive Projekte, die das gefühlsmäßige Erleben in den Mittelpunkt stellen sowie psychomotorische Konzepte.

Ein zweites fortlaufendes Projekt sind soziale Trainingskurse im Vorfeld der Haftentlassung in der Jugendanstalt Raßnitz. Durchgeführt werden die sozialen Trainingskurse von Studierenden der Hochschule unter Leitung von Prof. Borchert. Das Training ist ein wichtiger Bestandteil in der Vorbereitung der Haftentlassung der jungen Gefangenen. Besprochen wird mit den Gefangenen alles, was für die Entlassung wichtig ist:

  • Warum brauche ich einen Ausweis, und was muss ich bei der Beantragung beachten?
  • Wie schreibe ich eine Bewerbung?
  • Welchen Sinn und Zweck erfüllen Versicherungen?
  • Wozu benötige ich ein Bankkonto?
  • Fragen zu alltäglichen Lebensaufgaben (Haushaltsführung, Mietfragen, Arbeit etc.).

Auch Batikarbeiten stehen auf dem Programm.

Letztendlich werden Wissen und Skills in den unterschiedlichsten Bereichen vermittelt – alles vor dem Hintergrund eines geregelten Übergangs von der Inhaftierung in die Freiheit. Die Arbeit von Prof. Borchert und den Studierenden verfolgt somit das Ziel, die jugendlichen Strafgefangenen auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten und unterstützt neben dem Schutz der Allgemeinheit – eines der Hauptanliegen des Strafvollzugs – die Resozialisierung.

Mit Beginn des Wintersemesters 2022/2023 haben Studierende der Sozialen Arbeit wieder soziale Trainingskurse geplant und vorbereitet. Zurzeit arbeiten vier Gruppen in der Jugendanstalt in Raßnitz und zwei Gruppen im Jugendarrest Regis-Breitingen mit den Jugendarrestanten zusammen.

Beide Projekte bringen den Studierenden wertvolle Praxiserfahrungen und theoretisches Wissen auf dem Weg in das spätere Berufsleben.

Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit den Themen Strafvollzug, Resozialisierung und Bildungsarbeit zeigt eindrücklich, dass die Ergebnisse aus der Lehre und insbesondere aus der Forschung in die Gesellschaft hineingetragen werden und anwendungsbezogen sind. Theoretisches Wissen wird direkt nach draußen transferiert, deckt Bedarfe ab und hilft bei der Bearbeitung aktueller Fragestellungen und Problemlagen.

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