Role Models

Chancengerechtigkeit braucht Role Models

Wissenschaft bringt Großes hervor – und wichtige Menschen bringen ebendiese Wissenschaft hervor. Dafür bekommen sie Anerkennung, finanzielle Unterstützung und Einflussnahme. Das haben sie auch verdient! Männer wie FLINTA. Trotzdem werden überwiegend Männernamen genannt, bekannt und gefeiert. So wirkt es schnell so, als seien „nur“ Wissenschaftler bedeutsam und das stereotype Bild des erfolgreichen Wissenschaftlers à la Albert Einstein verfestigt sich.

Doch Wissenschaft – auch im MINT-Bereich – hat viele Gesichter. Auch wenn ihre Erfolge oftmals nicht so sichtbar gemacht werden wie die der Kollegen. Trotz des geringeren Anteil von Frauen und offen bekannten anderen Geschlechtern im MINT-Bereich gibt es Wissenschaftler*innen, die Innovation und Forschung vorantragen, erfolgreich sind und Menschen empowern durch ihre Vorbildfunktion – also als Role Model. Die Kampagne „Chancengerechtigkeit braucht Role Models" soll Menschen für Innovation, Forschung und Wissenschaft begeistern.

Wo versteckt sich die Schieflage?

Laut dem Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. wächst der Anteil von weiblichen Studienanfänger*innen in MINT-Fächern seit 2008 – und dennoch liegt der Anteil bei ca. 34% noch unter dem Durchschnitt weiblicher Studierender in anderen Fächern (kompetenzz, 2020). MINT steht dabei für die Kurzform für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Bekannt wurden die MINT-Fächer im Rahmen der Diskussion um den Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, den Anteil von FLINTA¹ in MINT-Berufen und -Studiengängen zu erhöhen. Neben den genderspezifischen Stereotypen spielt auch die gläserne Decke eine Rolle. Der Glasdeckeneffekt ist eine Metapher für die meist unsichtbaren Aufstiegsbarrieren für Frauen, die sich verstärken, je höher Frau die Karriereleiter erklimmt. Im Bereich der Wissenschaften zeigt sich das besonders beim Anteil der weiblichen Professor*innen in MINT-Fächern (ca. 19,9%), aber auch generell (26%). Es kann hier kaum noch von einer gläsernen als vielmehr hölzernen Decke die Rede sein, so klar sichtbar und stabil sind die behindernden Faktoren.

Ein weiteres Modell, die „Leaky Pipeline“, führt dezidiert aus, wie der Anteil von Frauen in der Wissenschaft mit jeder weiteren Qualifizierungs- oder Karrierestufe nach dem Studienabschluss geringer wird. Frauen legen öfter ein Abitur ab als Männer (BR, 2018) und genauso viele nehmen ein Studium auf (Destatis, 2021). Ebenso Viele promovieren. Danach nimmt der Frauenanteil ab. Nur etwa ein Drittel der Frauen habilitiert, nur eine von vier Frauen erhält mit diesen Voraussetzungen eine Professur. Wenn sie es auf diese Karrierestufe schaffen, arbeiten Akademiker*innen öfter in Teilzeit, wenn sie Eltern sind. 2007 arbeiteten 95% der Väter in Vollzeit, auf Seiten der Mütter waren es nur 25% (Femtec, 2013).

Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2021) arbeiten 17%  Frauen im MINT-Bereich. In einem Unternehmen mit 1.000 Menschen sind das 170. Das bedeutet, es ist noch viel zu tun, um Frauen für das Studium und das Arbeitsfeld MINT zu begeistern.  

 

¹FLINTA bezeichnet „Frauen, Lesben, inter-, nicht-binäre, trans- und agender“-Personen

 

Und warum ist es jetzt "so" schwierig, FLINTA für MINT zu begeistern?

Hier spielt die (subtile) Wahrnehmung eine Rolle, dass Personen bei eher "typisch" weiblicher Sozialisierung seit dem Kindergarten eingeredet wird, dass „etwas Kreatives oder Soziales vielleicht besser passt“ oder anders: Lesen, Schreiben oder Malen läge Mädchen mehr. Da bleibt heute bei vielen die Frage offen: Ob ich wohl Mathe studiert hätte, wären die genderstereotypen Kompetenzen nicht schon so früh in meinem Leben zementiert worden?

Oft ist es deutlich schwerer für Frauen und als solche Gelesene, präsent zu sein und Anerkennung zu erreichen, obwohl sie mindestens die gleichen Qualifikationen wie ihre Kollegen haben (Harvard Business Review, 2014). Das zeigt sich z.B. im Rahmen der Anzahl der Nobelpreisträger*innen im naturwissenschaftlichen Bereich. 340 Männer und 23 Frauen in den Bereichen Physik, Chemie und Medizin erhielten den Preis. Nur eine der Frauen ist nicht weiß, von anderen Geschlechtern ist nichts bekannt (The Nobel Prize, 2022a, 2022b, 2022c).

 

Wir wollen deutlich herausstellen, dass FLINTA sich nicht mehr als andere anstrengen müssen, sondern dass deren Unsichtbarkeit auch auf strukturelle Faktoren hinweist (siehe oben gläserne Decke). Dieses Verständnis – nur mit Leistung können Barrieren überwunden werden – verdeckt die strukturellen Ungleichheiten, die den Alltag von FLINTA unsichtbar – aber deutlich spürbar – formen. Diese Lücke muss sich schließen und dafür braucht es neben struktureller Veränderung auch Vorbilder, die zeigen: Wissenschaft hat viele Gesichter.

Wir freuen uns, mit der Role Model Plakatkampagne erfolgreiche Frauen aus dem MINT-Bereich vorzustellen, die als Vorreiter*innen Großes geleistet haben. Es zeigt sich, dass diese Role Models als Vorbilder wirken, gleichzeitig aber auch die strukturellen Ungleichheiten und Barrieren, die bis heute in Wissenschaft und Forschung andauern, sichtbar machen. Diese Durchsetzungskraft, Inspiration und Leidenschaft möchten wir teilen und dabei für Chancengerechtigkeit sensibilisieren.

Mary Golda Ross (*1908 †2008)

Mary Golda Ross war Mathematikerin und Ingenieurin. Sie hat einen Master in Mathematik mit einer Zusatzzertifizierung zur Ingenieurin. Sie ist ein Role Model, weil sie als erste Native-American (Cherokee-Amerikanische) Ingenieurin im US-Amerikanischen Luft- und Raumfahrtunternehmen Lockheed erfolgreich arbeitete und die Raketentechnologie, welche die USA ins All brachte, maßgeblich mitentwickelte.

 

 

Alice Ball (*1892 †1916)

Alice Ball war Chemikerin und Pharmazeutin und erlangte als erste afroamerikanische Frau einen Masterabschluss am College of Hawaii. Zudem war Alice Ball die erste afroamerikanische Chemiedozentin an dieser Universität. Sie entwickelte ein Ölextrakt, welches bis in die 1940er Jahre als die wirksamste Medizin gegen Lepra galt.

 

 

Lieselott Herforth (*1916 †2010)

Lieselott Herforth war eine promovierte Ingenieurin und habilitierte als eine der ersten Frauen in Physik. Ihre Karriere führte sie auch an die Hochschule Merseburg. Sie war die erste Rektorin an einer deutschen Universität an der TU Dresden und setzte sich die Förderung und Motivation von Nachwuchswissenschaftlerinnen als Ziel in ihrer Amtszeit. Als Role Model setzte sie sich in einem männlich dominierten Feld durch, alles aufgrund der Begeisterung für Forschung und Wissenschaft.

 

 

Sau Lan Wu (*1940)

Sau Lan Wu ist in Hong Kong geboren, promovierte in Harvard und ist amerikanische Teilchenphysikerin. Sie ist Professorin für Physik an der Universität von Wisconsin-Madison. Als Role Model prägt sie die Wissenschaft durch ihre Beteiligung an der Entdeckung des J/psi Partikels und des Gluons sowie durch den Fund für Beweise für die Existenz des Higgs Bosons. Bis heute gilt ihre Forschung zu Elementarteilchen als prägend und aktuell.

 

 

Lynn Conway (*1938)

Lynn Conway ist Informatikerin, Elektrotechnikerin, Erfinderin und Transgenderaktivistin. Sie arbeitete in den 60er Jahren bei IBM, wo ihr die Erfindung des „Dynamic Instruction Scheduling“ (DIS) zugeschrieben wurde. Für diese Errungenschaft bekam sie lange keine Anerkennung, wurde sogar bei IBM aufgrund der Tatsache, dass sie eine trans Frau ist, entlassen. Sie ist nicht nur bei der Erfindung von DIS und der Entwicklung moderner Computerchips ein Role Model, sondern auch ihr Lebensweg, der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Transfeindlichkeit, ist bedeutsam.

 

 

Dorothea Christiane von Erxleben (*1715 †1762)

Dorothea Christiane von Erxleben war die erste promovierte Ärztin in Deutschland. Sie praktizierte als Ärztin – trotz der anfallenden Sorgearbeit für den Haushalt und ihre Familie. Nur auf ein ausdrückliches Schreiben von König Friedrich an die Universität Halle wurde sie als erste Frau zur Promotion zugelassen. Als Role Model erkämpfte sie den Zugang für Frauen zu Universitäten in Deutschland.

 

 

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