Migration in die DDR

Wissenschaftliches Praxisprojekt: Migration in die DDR

15.03.2023, Soziale Arbeit.Medien.Kultur | Angewandte Medien- und Kulturwissenschaft

Im Rahmen des Masterstudiengangs Angewandte Medien- und Kulturwissenschaft, bot ich im Wintersemester 2022/23 das Praxisprojekt „Oral History – Vertragsarbeiter in der DDR“ an. Mit dem Seminar versuchten die Studierenden und ich, ein Themenfeld zu erschließen, das, wie mir schien, wenig beforscht war. Ziel war es, dass die Studierenden Interviewbeiträge mit ehemaligen Vertragsarbeiter*innen erstellten. Die jetzige Form der Beiträge sind Ergebnis von Diskussionsprozessen im Seminar und natürlich der Arbeit der Studierenden und ihren Interviewpartner*innen. Ich möchte zum besseren Verständnis der Ergebnisse einen Überblick über die theoretischen und praktischen Überlegungen geben, die wir im Seminar angestellt haben.

Oral History – Vertragsarbeiter in der DDR - Weiterlesen




Inhalt

Joseph Sparsbrod: Einführung

Richard Höhne, Miriam Sandleitner: Interview mit Dr. Antonio Quarta

Saskia Krebsz: Interview mit Herrn Erdelyi

Anna Luckow: Interview mit Walter Grunt (JUGENDSTIL)

Francis Mayer: Interview mit Adriana

Alexandra Schreiner: Interview mit einem Teenager aus Rostock

Behrends, J.C., Lindenberger, T. and Poutrus, P.G. (Hg.) (2003) Fremde und Fremd-Sein in der DDR. Zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland. Berlin: Metropol.

Dennis, M. (2005) ‘Die Vietnamesischen Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen in der DDR, 1980-1989’, in K. Weiss and M. Dennis (Hg.) Erfolg in der Nische? die Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. Münster: LIT-Verl, S. 15–49.

Foroutan, N. (2016) ‘Postmigrantische Gesellschaften’, in H.U. Brinkmann and M. Sauer (Hg.) Einwanderungsgesellschaft Deutschland: Entwicklung und Stand der Integration. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 227–254.

Goel, U. (2013) ‘Ungehörte Stimmen. Überlegungen zur Ausblendung von Migration in die DDR in der Migrationsforschung’, in D. Gürsel, Z. Çetin, and Allmende e.V (Hg.) Wer macht Demo_kratie? kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen. 1. Aufl. Münster: Ed. Assemblage , S. 138–150.

Küsters, I. (2022) ‘Narratives Interview’, in N. Baur and J. Blasius (Hg.) Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 893–900.

Lindenberger, T. (2014) Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand. Version 1.0, Docupedia-Zeitgeschichte, docupedia.de/zg/Lindenberger_eigensinn_v1_de_2014 (Aufgerufen am 01.03.2023).

Mohnke, A. (2011) ‘“Migration in der DDR”. Ein vorläufiger Forschungsbericht.’, in K.C. Priemel (Hg.) Transit - Transfer: Politik und Praxis der Einwanderung in der DDR 1945 - 1990. Berlin: be.bra wissenschaft verlag, S. 272–296.

Priemel, K.C. (Hg.) (2011) Transit - Transfer: Politik und Praxis der Einwanderung in der DDR 1945 - 1990. Berlin: be.bra wissenschaft verlag.

Spielhaus, R. (2014). Studien in der postmigrantischen Gesellschaft: Eine kritische Auseinandersetzung. In 4. Bundesfachkongress Interkultur Diversity 2012. Kongressdokumentation, S. 96–100.

Uladh, D.M.C. (2005) ‘Die Alltagserfahrungen ausländischer Vertragsarbeiter in der DDR: Vietnamesen, Kubaner, Mozambikaner, Ungarn und andere’, in K. Weiss and M. Dennis (Hg.) Erfolg in der Nische? Die Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. Münster: LIT-Verl, S. 51–68.

Weiss, K. and Dennis, M. (Hg.) (2005) Erfolg in der Nische? Die Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. Münster: LIT-Verl.

Weiss, K. (2013) ‘Migration und Integration in den neuen Bundesländern’, in H.U. Brinkmann and H.-H. Uslucan (Hg.) Dabeisein und Dazugehören: Integration in Deutschland. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 383–395.

Zwengel, A. (2011a) ‘Algerische Vertragsarbeiter in der DDR. Doppelter Sozialstatus, späte Adoleszenz und Protest’, in A. Zwengel (Hg.) Die ‘Gastarbeiter’ der DDR: politischer Kontext und Lebenswelt. Münster: LIT-Verl, S. 71–98.

Zwengel, A. (Hg.) (2011b) Die ‘Gastarbeiter’ der DDR: politischer Kontext und Lebenswelt. Münster: LIT-Verl.

Angolanische Vertrags- arbeiter*innen in der DDR (o.J.). Amadeu Antonio Stiftung.  https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/amadeu-antonio/die-ausgebeuteten-brueder-angolanische-vertragsarbeiterinnen-in-der-ddr/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Backhouse, M., Mutter, T. and Trzeciak, M.F. (2022) ‘Mosambikanische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Interview mit Madgermanes in Maputo’, PERIPHERIE – Politik • Ökonomie • Kultur, 42(1), pp. 11–30.

Cala Fuentes, L.R. (2007) Kubaner im realen Paradies: Ausländer-Alltag in der DDR. Eine Erinnerung. Berlin: Dietz.

DẤU VẾT::TRACES::SPUREN (2017), https://wegwohin.de/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Doing Memory – für eine plurale Gesellschaft (o.J.),  https://doing-memory.de/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Ehemalige treffen – DDR-Arbeitsmigration in Rötha und Espenhain (o.J.)  http://www.ehemaligetreffen.de/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Eigensinn im Bruderland (o.J.), https://bruderland.de/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

foreigner in the GDR, extranjero en la RDA, estrangeiros na RDA - Ausländer in der DDR (o.J.), https://www.auslaender-in-der-ddr.com/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Großer-Kaya, C. et al. (2022) ‘...die DDR schien mir eine Verheißung.’ Migrantinnen und Migranten in der DDR und in Ostdeutschland. 1. Auflage. Berlin: DIE MARK BRANDENBURG - Verlag für Regional- und Zeitgeschichte.

Hanoi x Halle, n.d. . Hanoi x Halle (o.J.),  https://hanoixhalle.com/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Hintergründe – Zeitzeug*innen (o.J.), https://wendemigra.de/hintergruende/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Illgen, K. (1995) ‘Zweite Heimat’ Vietnamesen berichten über ihr Leben in Deutschland 1980 - 1995. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.

Initiative 12. August (o.J.),  https://initiative12august.de/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

International Women*s Space e.V and Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.) (2019) ‘Als ich nach Deutschland kam’: Gespräche über Vertragsarbeit, Gastarbeit, Flucht, Rassismus und feministische Kämpfe: eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. 1. Auflage. Münster: UNRAST.

Kaspar, A. (1989). Vietnamesen in der DDR, https://www.youtube.com/watch?v=NwgM4Gul80s (Aufgerufen am 01.03.2023).

Konferenz / Conferência – Vertragsarbeit Mosambik-DDR (2019),  https://vertragsarbeit-mosambik-ddr.de/konferenz/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Mi*story. Migrationsgeschichten aus Ostdeutschland (o.J.), https://mistory-ostdeutschland.de/ (Aufgerufen am 01.03.2023).

Nah&Fern. ein Material und Informationsdienst zur Ausländerseelsorge (1989-1993). Berlin.

Nguyen, A. (1992) Bruderland ist abgebrannt, https://www.youtube.com/watch?v=2B3WDt6MkZk (Aufgerufen am 01.03.2023).

Projektseminar “Migration in die DDR (und BRD) - Ungleiche Machtverhältnisse und Interdependenzen sichtbar machen” (2011),  https://www.projekte.hu-berlin.de/de/migrationddr/migration-in-die-ddr-und-brd/projekte (Aufgerufen am 01.03.2023).

Rückkehr aus der DDR nach Vietnam und die Probleme beim Neuanfang (Doku) (1993). RheintalTV, https://www.youtube.com/watch?v=PsiGTuGiNh0 (Aufgerufen am 01.03.2023).

Vertragsarbeit - Hoyerswerda-1991.de – Webdokumentation (o.J.), https://www.hoyerswerda-1991.de/1991/vertragsarbeit.html (Aufgerufen am 01.03.2023).

zweiteroktober90 – Die Gewalt der Vereinigung (o.J.) https://zweiteroktober90.de/, (Aufgerufen am 01.03.2023).




Interview mit Dr. Antonio Quarta

Datenschutzhinweis

Wenn Sie unsere YouTube-Videos abspielen, werden Informationen über Ihre Nutzung von YouTube an den Betreiber in die USA übertragen und unter Umständen gespeichert.

44123008e01d69fe158d17aa852b2cc4

Interview mit Antonio Quarta zu dem Schwerpunkt: Migration in die DDR

Von Richard Höhne und Miriam Sandleitner

Der Kontakt von António Quarta wurde uns von Birgit Said, welche Filme zur Thematik des Erinnerns macht und ihn schon einmal als Interviewpartner angefragt hatte, mit seinem Einverständnis zugesendet. Wir schrieben ihm eine E-Mail mit unserem Anliegen und allen Informationen, er rief bald zurück und wir verabredeten uns für ein erstes Treffen in einem Lokal in Leipzig. Dort fand dann ein erstes entspanntes Kennenlernen statt, an welchem Richard leider nicht teilnehmen konnte. So besprachen Miriam und António u.a. das Vorgehen und das Ziel des Interviews. António hatte keine Einwände, sodass wir bereits einen Termin für den Dreh vereinbarten. António schlug vor diesen bei sich zu Hause zu machen. Dort trafen wir uns auch vor der Aufnahme bereits, um das Setting beurteilen zu können (Sitzgelegenheiten Lichtverhältnisse, Hintergrund etc.). Auch dieses Treffen war ungezwungen, wir tranken Tee, aßen Kekse und unterhielten uns.

Interview mit Antonio Quarta zu dem Schwerpunkt: Migration in die DDR - Weiterlesen

Interview mit Herrn Erdelyi

Von Saskia Krebsz

Bei der Suche nach einer potenziellen Zeitzeug*in hat mir der eigene familiäre Bezug sehr verholfen. Durch meinen Opa, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ungarn in die ehemalige DDR emigrieren musste, pflegte die Familie zu DDR-Zeiten sporadisch Kontakte zu anderen ungarischen Familien in und um Bernburg (Saale). So konnte ich problemlos auf einen Kontakt zurückgreifen, von dem vermutet wurde, dass er als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen sein musste. Nach erfolgreicher Kontaktaufnahme und einigen Terminfindungsversuchen wurden wir uns schnell einig, dass wir uns am 01.12.2022 treffen würden.

Interview mit Janos Erdelyi zu dem Schwerpunkt: Migration in die DDR - Weiterlesen

 



Interview mit Herrn Erdelyi  

Interview mit Walter Grunt

Von Anna Luckow

In diesem Interview erzählt Walter Grunt von JUGENDSTIL* über postmigrantisches Leben in Ostdeutschland, inwiefern es noch heute durch die DDR geprägt ist und gibt einen Einblick in die Arbeit der Initiative. JUGENDSTIL* möchte junge Menschen mit internationaler Geschichte in Ostdeutschland unterstützen und bestärken. Sie supporten finanziell, geben Wissen weiter und greifen beim Aufbau von Strukturen und der Sichtbarmachung von migrantischen Stimmen in Ostdeutschland unter die Arme.

Interview mit Walter Grunt zu dem Schwerpunkt: Migration in die DDR - Weiterlesen

 



Interview mit Walter Grunt  

Interview mit Adriana

Datenschutzhinweis

Wenn Sie unsere YouTube-Videos abspielen, werden Informationen über Ihre Nutzung von YouTube an den Betreiber in die USA übertragen und unter Umständen gespeichert.

4db71eb29bd5331c52457428e5f9be8b

Interview mit Adriana zu dem Schwerpunkt: Migration in die DDR

Von Francis Mayer

Dieser Beitrag stellt eine postmigrantische Perspektive auf Migration nach Ostdeutschland aus einem ehemals sozialistisch geführtem Land dar. Spezifischer geht es um die Perspektive, welche durch die Migration der Eltern der Interviewpartnerin Adriana aus Polen zur Zeit des Sozialismus nach Westberlin, der damaligen Insel der BRD innerhalb der DDR, geprägt ist. Als Impuls, der, bis auf eine weitere Nachfrage, das narrative Interview gemäß der Methodik anstieß, wurde folgende Frage gestellt: „Welchen Einfluss hat die Migration deiner Eltern aus dem Polen der Zeit des Kommunismus auf deine Identität heute?“. Diese Frage wurde gemeinsam mit der Interviewpartnerin formuliert.

Interview mit Adriana zu dem Schwerpunkt: Migration in die DDR - Weiterlesen

Interview mit einem Teenager aus Rostock

Von Alexandra Schreiner

Das Interview lief nicht gerade nach meinen Vorstellungen ab. Im Grunde war alles anders, als zunächst geplant. Aufgrund meiner persönlichen Nähe zu dem Thema und Personen, die während der DDR, aber auch in den 90er Jahren nach Ost-Deutschland einwanderten schien es mir naheliegend für das Interview eine Person aus meinem näheren Bekannten- oder sogar Verwandtenkreis für das Interview anzufragen

Interview mit einem Teenager aus Rostock zu dem Schwerpunkt: Migration in die DDR - Weiterlesen

 



Interview mit einem Teenager aus Rostock  

 

 

Einführung

Von Joseph Sparsbrod

Einwanderung nach Deutschland findet seit mindestens einem halben Jahrhundert und länger statt. Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft und 35% der Menschen haben Familienmitglieder mit einem sogenannten Migrationshintergrund (Fouroutan 2016: 229). Naika Fouroutan konstatiert, es etabliere sich aufgrund dieser Tatsache zunehmend die Idee einer post-migrantischen Gesellschaft. Sie beschreibt „postmigrantisch“ als „eine Analyseperspektive, die sich mit den Konflikten, Identitätsbildungsprozessen, sozialen und politischen Transformationen auseinandersetzt, die nach erfolgter Migration und nach der Anerkennung, ein Migrationsland geworden zu sein, einsetzen.” (Ebd.: 232). Obwohl das nahelegt, Migration als einen gewöhnlichen Teil gesellschaftlicher Entwicklungen zu betrachten, ist das Thema in öffentlichen Debatten ein Dauerbrenner. Riem Spielhaus stellt fest, „post-migrantisch steht damit nicht allein für die Phase nach der Migration, sondern für die Obsession für längst erfolgte Einwanderungen.“ (2014: 97).

In den alten Bundesländern lässt sich eine vergleichsweise umfangreiche Forschungstätigkeit beobachten, auch wenn Migrationsforschung in Deutschland als eigenständige Disziplin relativ neu ist (Foroutan et al., 2018: 10). Das Thema „Migration in die DRR“ aber, führte lange Zeit ein Schattendasein (Weiss 2013: 383; Goel 2013: 138). Erst in den letzten Jahren rückte das Thema wahrnehmbar in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Schwerpunkt lag vor allem auf den sogenannten Vertragsarbeiter*innen, die von sozialistischen „Bruderländern“, mit denen die DDR Abkommen schloss, entsandt wurden. Es existiert zwar eine Vielzahl von Arbeiten zu diesem Thema, allerdings so stellt Anja Mohnke in ihrem Forschungsbericht „Migration in der DDR“ (2011) fest, beschränke sich die Forschung häufig auf allgemeine Überblicksdarstellungen und es mangele an Detailstudien. Es gebe zwar eine Vielzahl biographischer Berichte, doch fehle eine kritische Auseinandersetzung mit dem Material. Häufig stehe die Frage nach den Gründen für die überdurchschnittlich hohe Zahl rassistischer Gewalttaten in den neuen Bundesländern im Mittelpunkt (ebd.: 277f.). Die Sammelbände „Fremde und Fremd-Sein in der DDR“ von Jan Behrends, Thomas Lindenberger und Patrice Poutrus (2003), „Erfolg in der Nische?“ von Mike Dennis und Karin Weiss (2005), „Transit – Transfer“ von Kim Priemel (2011) und „Die 'Gastarbeiter' der DDR“ von Almut Zwengel (2011), enthalten Überblicksdarstellungen, vor allem aber Detailstudien zu unterschiedlichen Themen der DDR Migrationsgeschichte. Sie geben darum einen guten Einblick in die Erforschung des Themas.

Vor diesem Hintergrund sollte mit dem Seminar der Versuch unternommen werden, die Studierenden zu eigenen Forschungen in diesem Themenfeld anzuregen. Der Oral History Ansatz erschließt Zeitzeug*innenberichte als historische Quelle und versucht dabei die Perspektiven der Handelnden in die Untersuchung einzubeziehen. Insbesondere das narrative Interview, bei dem die Interviewenden einen „Erzählstimulus“ geben und die Interviewten ansonsten möglichst wenig durch Fragen lenken (Küsters 2022: 893, 896), war für uns interessant. Dieser Ansatz eignet sich für den Fokus auf die Selbstdarstellung von Zeitzeug*innen, die sich so als aktiv handelnde Akteur*innen präsentieren können. Lindenberger (2014) zeigte, dass sich für die Erforschung von Gesellschaften, die von starker staatlicher Kontrolle geprägt waren, der Fokus auf „Eigensinn“ eignet. Menschen werden als eingeständig handelnde Subjekte angesehen. Sie sind nicht bloß Spielball gesellschaftlicher Machtverhältnisse, sondern wenden Taktiken an, um ihre Anliegen durchzusetzen (ebd.). Der Oral History Ansatz und der Fokus auf Eigensinn eignen sich hervorragend für die Erfassung der Selbstdarstellung migrantisch gelesener Akteur*innen, denen innerhalb des dominanten gesellschaftlichen Diskurses oft eine Rolle als passive Objekte zugeschrieben wird. Dies gilt insbesondere für die Erforschung von Migration in die DDR bei der eine migrantische Perspektive fast völlig fehlt, was am Fokus auf offizielle Quellen bzw. an einer unzureichenden Reflexion von Zeitzeugenberichten liegt (Mohnke 2011: 279f.). Arbeiten, in denen explizit eigensinniges Handeln in den Blick genommen wurde, bilden wichtige Ausnahmen (Uladh 2005; Dennis 2005; Zwengel 2011).

Mit diesen theoretischen und methodischen Zugängen (Postmigration, Eigensinn, Oral History) machte ich mich an die Konzeption des Praxisseminars. Zunächst war es die Absicht, Akteur*innen mit einer Migrationsgeschichte in der ehemaligen DDR zu interviewen. Auch wenn wir Kontakte und Ratschläge von Menschen erhielten, die schon ähnliche Projekte umgesetzt hatten (an dieser Stelle sei Judith Schein und Birgit Said - https://wendemigra.de/ ; und Vũ Vân Phạm - https://glasfaeden.de/ gedankt), stellten wir fest, dass die Kontaktaufnahme ohne persönliche Netzwerke in diese spezifische Zeitzeug*innengruppe äußerst schwierig ist. Allerdings hatten, wenig überraschend, fast alle Studierende einen Zugang zum Bereich Migration, sei es durch Freunde, Verwandte oder die Arbeit. Als Studierende an einer ostdeutschen Hochschule hatten auch alle in irgendeiner Form Verbindungen mit der ehemaligen DDR. Es war daher naheliegend den Fokus auf eine postmigrantische Perspektive zu erweitern, also auf die Auswirkungen, die die „Obsession für längst erfolgte Einwanderungen“ (Spielhaus 2014: 97) auf den Alltag der potenziellen Gesprächspartner*innen hat.

Es entstanden fünf Interviews, zwei als Video und die anderen drei im Audioformat. Die Interviewten sollten möglichst frei aus ihrem Leben und von ihren Erfahrungen berichten, ohne dass ihnen ein bestimmtes Narrativ aufgezwungen wurde. Wir fanden es wichtig die eigene Rolle als Forschende kritisch zu hinterfragen. In den meisten Zeitzeugenprojekten zu Migration in den neuen Bundesländern fehlt diese Form der Quellenkritik. Aus diesem Grund findet sich zu jedem Interview auch eine kurze Reflexion die einen Einblick in den Entstehungsprozess der Beiträge gibt. Wir hoffen, dass dieses Projekt zumindest einen kleinen Beitrag zur Erforschung der ostdeutschen postmigrantischen Gesellschaft leisten kann. Nicht zuletzt möchten wir allen Interviewten für ihre Geduld und ihren Mut danken ihre Erfahrungen und Gedanken zu teilen.

Nach oben